Begegnungen „Wir sind keine Helden!“

Bis aus Mailand kommen Studenten zum Sommercamp von „Libera Terra“ bei Mesagne im tiefen Süden Italiens, einen Katzensprung von Brindisi entfernt. Sie wollen mithelfen und das AntiMafiaProjekt unterstützen – indem sie zum Beispiel in den Weinbergen arbeiten. Die Eltern sehen das mit gemischten Gefühlen: Ist das nicht zu gefährlich?
Alessandro Leo, Präsident von „Libera Terra“ (übersetzt: freies Land) in Mesagne, kennt solche Zweifel. „Noch vor ein paar Jahren haben Bewerber dankend abgelehnt, wenn sie hörten, dass es sich um von der Mafia konfisziertes Land handelte.“ Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Mafia hat ihre Macht eingebüßt, ist nicht mehr allgegenwärtig. Und die Menschen hier spüren ihre Chance auf ein freies Leben, ohne Korruption, Erpressung und Angst vor Gewalt. Der Kampf gegen die Mafia ist inzwischen auch ihr Kampf. „Heute wollen mehr Leute bei ‚Libera Terra’ arbeiten als wir Jobs anbieten können“, sagt Leo.
Die apulische „Libera Terra“ gehört zu der Anti-Mafia-Vereinigung „Libera“, die der katholische Priester Don Ciotti in den 1990er Jahren gegründet hat, als Antwort auf den Terror der Mafia. Der damaligen Welle der Gewalt fielen Journalisten, Politiker, Geschäftsleute und Richter zum Opfer, unter ihnen die prominenten Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Don Ciotti sammelte über eine Million Unterschriften für eine Petition und erreichte, dass die Regierung 1996 ein neues Gesetz verabschiedete: Die konfiszierten, teils riesigen Ländereien verurteilter Mafiabosse liegen nicht länger brach, sondern dürfen von gemeinnützigen Vereinen genutzt werden. 2008 bewarben sich ein paar junge Leute aus Mesagne, darunter auch Alessandro Leo, um das beschlagnahmte Landgut eines Mafioso – und erhielten den Zuschlag. Ihr Konzept: traditionelle Produkte in ökologischer Landwirtschaft anbauen, Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung schaffen und vor allem junge Leute über die Mafia aufklären. Keine leichte Aufgabe, denn Mesagne war eine Hochburg der „Sacra Corona Unita“, des apulischen Zweiges der Mafia.
Die meisten Einwohner erinnern sich noch gut daran, wie Handlanger des Paten am Stadttor kontrollierten, was in Mesagne vor sich ging. Ämter, Polizei, Lokale, Geschäfte – einfach alles war von der Mafia infiltriert. Wer sich auflehnte, wurde bedroht, drangsaliert oder sogar ermordet. Hilfe kam schließlich von außen – aus der Hauptstadt Bari. „Saubere“ Richter, Staatsanwälte und Polizisten sorgten dafür, dass jeder, der in mafiöse Machenschaften verstrickt war, im Gefängnis landete. Ein gesellschaftliches Erdbeben, denn immerhin war jeder zehnte Einwohner der Kleinstadt betroffen.
Das Land, das die Kooperative bewirtschaften wollte, befand sich in einem katastrophalen Zustand: verrostete, teils untaugliche Maschinen, verwilderte Weinberge. Das jahrelange Enteignungsverfahren hatte deutliche Spuren hinterlassen. Die Aufbauarbeit war mühsam, und es gab immer wieder Rückschläge: beispielsweise Drohbriefe, die Mitarbeiter in ihren Briefkästen fanden; oder in Brand gesteckte Rebstöcke. Laut Leo sei etwas wirklich Schlimmes allerdings noch nie passiert.
„Natürlich hatten wir anfangs Angst. Wir wussten schließlich nicht, wohin uns der Weg führen würde“, sagt Leo. „Aber wir waren auf dem Weg nicht alleine. Das hat uns stärker und mutiger gemacht.“ Muss man besonders viel Courage haben, um bei „Libera Terra“ zu arbeiten? Der Chef schüttelt vehement den Kopf: „Nein, wir sind nur Menschen, die sich für ihr Land und für die Demokratie interessieren. Man muss kein Held sein, um die Mafia zu bekämpfen. Jeder Bürger kann das.“
Allzu viele Worte will Leo nicht über die Mafia verlieren. er Viel lieber spricht er über das, was seine Kollegen und er in den vergangenen Jahren erreicht haben. In den Weinbergen gedeihen typisch apulische Rebsorten wie Primitivo und Negroamaro, auf den Feldern wachsen Oliven, Tomaten und Getreide. Mitten im historischen Zentrum von Mesagne betreibt Libera Terra einen kleinen Laden. Dort können angemeldete Gruppen Olivenpaste kosten oder leckere eingelegte Tomaten. Oder Pasta, deren Mehl aus eigenen Mühlen stammt.
Besonders stolz ist Alessandro Leo darauf, dass die Kooperative legale Jobs unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen bietet. Wer bei „Libera Terra“ arbeitet, ist offiziell angemeldet, versichert und bekommt einen angemessenen Lohn. Außerdem hat sich die soziale Kooperative verpflichtet, geistig und körperlich Behinderte zu beschäftigen, ebenso wie ehemalige Häftlinge und Drogenabhängige. Jeder, der hier einen Job haben möchte, muss sich strengen Anti-Mafia-Kontrollen unterziehen. Leo betont: „Wir geben den Menschen ihre Rechte und Würde zurück.“

Bei „Libera Terra“ werden die Arbeiter zu fairen Bedingungen beschäftigt.