Tourismuskrise und Naturschutz
Der World Wide Fund For Nature schlägt Alarm: Die dramatischen Auswirkungen der durch Corona bedingten weltweiten Tourismuskrise seien in vielen Naturschutzprojekten deutlich zu spüren, berichtet Martina von Münchhausen, Tourismusexpertin beim WWF Deutschland.
Frau von Münchhausen, der WWF Deutschland hat kürzlich davor gewarnt, dass die beispiellose Tourismuskrise, die wir im Moment erleben, spürbar negative Auswirkungen auf den Naturschutz hat. Wie bedrohlich ist die Entwicklung?
Jetzt, wo der Tourismus aufgrund der Corona-Pandemie weltweit eingebrochen ist, wird deutlich, welche immense Bedeutung er für die Wirtschaft – und den Natur- und Artenschutz – hat. Rund 120 Millionen Jobs im Tourismus sind weltweit bedroht. Vor allem für die ärmeren Länder ist das eine Katastrophe. Natur- und Wildtiertourismus erwirtschaftete 2019 direkte Einnahmen von 120 Milliarden US-Dollar.
Wenn die Touristen ausbleiben, drohen die Erfolge jahrelanger Naturschutzarbeit zunichte gemacht zu werden. Denn die Eintrittsgelder für Schutzgebiete und Nationalparks fallen weg, Wildhüter können nicht mehr bezahlt werden, Einnahmen aus gemeindebasiertem Tourismus brechen weg.

Können Sie Beispiele nennen?
Der WWF arbeitet bei seinen Naturschutzprojekten häufig mit gemeindebasierten Tourismuskonzepten, etwa in Kenia, Tansania oder Namibia. Das Konzept sieht vor, dass die lokale Bevölkerung direkt eingebunden ist und das Projekt auf Selbstverwaltung basiert. Damit die Einheimischen Naturschutz unterstützen, müssen sie auch davon profitieren. Zum Beispiel werden ihnen deshalb Verluste ersetzt, die entstehen, weil sie im Schutzgebiet keine Viehzucht betreiben können oder weil etwa Elefanten ihre Felder zerstören. Und sie arbeiten als Gemeinde-Wildhüter oder Guides, erhalten Einnahmen aus verpachteten Flächen oder aus Übernachtungen.
Und wenn nun keine Touristen mehr kommen ...
... kann man keine Kompensationszahlungen an die Einheimischen mehr leisten und die Wildhüter nicht mehr bezahlen. Ohne Tourismuseinnahmen können sie den Natur- und Artenschutz durch partizipatives Management nicht mehr aufrechterhalten. Eine massive Zunahme von (oft illegaler) Land-Konversion, Überweidung, Wilderei und Mensch-Wildtier-Konflikten ist zu beobachten. Aber auch die Regierungen geraten in Versuchung, die Naturschutzgebiete für vermeintlich lukrativere Zwecke zu nutzen, zum Beispiel, um dort Bodenschätze zu fördern, sie in landwirtschaftliche Nutzung zu überführen (für den Anbau von Monokulturen beispielsweise) oder wieder verstärkt auf Weidewirtschaft zu setzen.
Sie hatten vorhin Namibia erwähnt. Wie ist denn die Lage dort konkret? Studiosus bietet zahlreiche Reisen in das südafrikanische Land an.
In Namibia arbeitet der WWF in 100 gemeindebasierten Projekten, davon einige Vorzeigeprojekte im Caprivi-Streifen. Durch das Ausbleiben der Touristen sind rund 70 bis 80 Prozent der Einnahmen aus den Eintrittsgeldern für die Parks weggefallen. Hier wurde zusammen mit der namibischen Regierung ein Hilfsfonds eingerichtet, um die Zeit bis zur Rückkehr der Touristen zu überbrücken.
Studiosus und das Tochterunternehmen Marco Polo besuchen in Uganda und Ruanda Gorilla-Schutzgebiete und ermöglichen es den Gästen, bei sogenannten Gorilla-Trackings die faszinierenden Menschenaffen aus nächster Nähe zu erleben. Können Sie zur Situation in diesen Schutzgebieten etwas sagen?
Wir haben ein ähnliches Projekt in der Zentralafrikanischen Republik im Herzen des Kongobeckens. Dort unterhalten wir ein Schutzgebiet für Flachlandgorillas. Das Schutzgebiet ist jetzt wegen der Corona-Pandemie für Touristen und Wissenschaftler geschlossen. Die Gorillas waren hier sanft an die Präsenz des Menschen gewöhnt worden, um ihr Verhalten zu studieren und Touristen einen auf Gorilla-Beobachtungen basierenden Ökotourismus zu ermöglichen. Jetzt fehlen die Einnahmen, die sowohl die Parkverwaltung, das Gorillaprogramm selbst als auch die Gemeindevorhaben finanziert haben. Dadurch ist das Schutzgebiet gefährdet. Auch hier nimmt die Wilderei zu. Der schützende Puffer durch den Tourismus fehlt. Ich denke, die Gorillaschutzgebiete in Uganda und Ruanda haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.
Auf vielen Studiosus-Reisen können die Gäste an Walbeobachtungsfahrten teilnehmen, etwa in Island, auf den Azoren oder in Kanada. Welche Folgen für den Umweltschutz hat hier das Wegbrechen des Tourismus?
Nun, für die Wale dürften die Folgen eher gering sein. Je weniger sie gestört werden umso besser. Aber Walfang ist durch internationale Verträge in vielen Ländern und Regionen verboten und kann daher nicht plötzlich wieder als Ausgleich aufgenommen werden. Aber für die Meeresfauna insgesamt kann das schon Konsequenzen haben, weil Unternehmer, die auf Walbeobachtung gesetzt haben, eventuell jetzt ihre Boote fürs – möglicherweise illegale – Fischen einsetzen.
Wir sehen das bei unseren Projekten zum Schutz von Walhaien, die wir auf den Philippinen und an der Westküste Mexikos betreuen. Hier können Touristen mit Walhaien schwimmen und die Einnahmen kommen den Menschen vor Ort und der Einrichtung von Meeresschutzgebieten zugute. Jetzt, wo diese Einnahmen wegfallen, kehren die Einheimischen notgedrungen wieder zu ihren alten Aktivitäten zurück und fischen verstärkt in den geschützten Gewässern. Teilweise mit abenteuerlich- zusammengeklaubter Ausrüstung, die den sensiblen Meeresökosystemen Schaden zufügt.
Welche Maßnahmen ergreift der WWF, um die Existenz seiner Naturschutzprojekte bis zur Erholung des Tourismus zu sichern?
Wir unterstützen die eingerichteten Hilfsfonds mit Spenden, um das Überleben unserer gemeindebasierten Projekte zu gewährleisten. Außerdem gelingt es uns zum Glück ganz gut, Spenden für „Corona-Soforthilfen“ zu generieren, die die fehlenden Einnahmen aus dem Tourismus zum Teil ausgleichen. Aber die Krise hat auch gezeigt, dass gut gemachter, nachhaltiger Tourismus mittlerweile ein unverzichtbarer Teil von Umweltschutzbestrebungen in aller Welt geworden ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Stand: Februar 2021