18.05.2022

Tourismuskrise und Naturschutz

Der World Wide Fund For Nature weist darauf hin, dass der Tourismus für den Naturschutz weltweit mittlerweile unverzichtbar geworden ist: Die dramatischen Auswirkungen der durch Corona bedingten weltweiten Tourismuskrise seien in vielen Naturschutzprojekten deutlich zu spüren.

Tourismuskrise und Naturschutz in Uganda WWF
Photo by Max Christian / Unsplash

Frau von Münchhausen, der WWF Deutschland hat davor gewarnt, dass die beispiellose Tourismuskrise, die wir während der Corona-Pandemie erlebt haben, spürbar negative Auswirkungen auf den Naturschutz hat. Wie bedrohlich war bzw. ist die Entwicklung?

Als der Tourismus aufgrund der Corona-Pandemie weltweit eingebrochen ist, wurde deutlich, welche immense Bedeutung er für die Wirtschaft und den Natur- und Artenschutz hat. Rund 120 Millionen Jobs im Tourismus waren während der Krise weltweit bedroht. Vor allem für die ärmeren Länder war und ist das eine Katastrophe. Natur- und Wildtiertourismus erwirtschaftete 2019 direkte Einnahmen von 120 Milliarden US-Dollar. Wenn die Touristen ausbleiben, drohen die Erfolge jahrelanger Naturschutzarbeit zunichte gemacht zu werden. Denn die Eintrittsgelder für Schutzgebiete und Nationalparks fallen weg, Wildhüter können nicht mehr bezahlt werden, Einnahmen aus gemeindebasiertem Tourismus brechen weg.

Können Sie Beispiele nennen?

Der WWF arbeitet bei seinen Naturschutzprojekten häufig mit gemeindebasierten Tourismuskonzepten, etwa in Kenia, Tansania oder Namibia. Das Konzept sieht vor, dass die lokale Bevölkerung direkt eingebunden ist und das Projekt auf Selbstverwaltung basiert. Damit die Menschen Naturschutzmaßnahmen unterstützen und mitgestalten, müssen sie auch davon profitieren. Zum Beispiel werden ihnen deshalb Verluste ersetzt, die entstehen, weil sie im Schutzgebiet keine Viehzucht betreiben können oder weil etwa Elefanten ihre Felder zerstören. Und sie arbeiten als Gemeinde-Wildhüter oder Guides, erhalten Einnahmen aus ihren verpachteten Flächen oder aus Übernachtungen.

Und wenn nun keine Touristen mehr kommen ...

… fallen die Einnahmen aus dem Tourismus weg und die Menschen wenden sich wieder den Betätigungsfeldern zu, die aus Naturschutzsicht kontraproduktiv sind. Ohne Tourismuseinnahmen können sie den Natur- und Artenschutz durch partizipatives Management nicht mehr aufrechterhalten. Eine massive Zunahme von (oft illegaler) Land-Konversion, Überweidung, Wilderei und Mensch-Wildtier-Konflikten ist zu beobachten. Aber auch die Regierungen geraten in Versuchung, die Naturschutzgebiete für vermeintlich lukrativere Zwecke zu nutzen, zum Beispiel, um dort Bodenschätze zu fördern, sie in landwirtschaftliche Nutzung zu überführen (für den Anbau von Monokulturen beispielsweise) oder wieder verstärkt auf Weidewirtschaft zu setzen.

Sie hatten vorhin Namibia erwähnt. Wie ist denn die Lage dort konkret? Studiosus bietet zahlreiche Reisen in das Land im Süden Afrikas an.

In Namibia arbeitet der WWF in 100 gemeindebasierten Projekten (Concervancies), davon einige Vorzeigeprojekte im Caprivi-Streifen. Durch das Ausbleiben der Touristen sind rund 70 bis 80 Prozent der Einnahmen aus den Gemeindeschutzgebieten weggefallen. Durch die Einrichtung eines Hilfsfonds und dank internationaler Unterstützung konnte die Zeit bis zur Rückkehr der Touristen überbrückt werden. Die Krise wurde aber auch als Chance genutzt, um über innovative Konzepte nachzudenken und sich unabhängiger vom Tourismus zu machen. Zum Beispiel durch die Entwicklung eines neuartigen Mechanismus, der Naturschutzleistungen der Gemeindeschutzgebiete monetär berechnet. also bewertet (sogenannte Conservation Performance Payments). Ziel ist es, Unternehmen, Investoren oder den Finanzsektor zu gewinnen, Naturschutz zu unterstützen und somit einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der UNO zu leisten.

Studiosus und das Tochterunternehmen Marco Polo besuchen in Uganda und Ruanda Gorilla-Schutzgebiete und ermöglichen es den Gästen, bei sogenannten Gorilla-Trackings die faszinierenden Menschenaffen aus nächster Nähe zu erleben. Können Sie zur Situation in diesen Schutzgebieten etwas sagen?

Wir haben ein ähnliches Projekt in der Zentralafrikanischen Republik im Herzen des Kongobeckens. Dort unterhalten wir ein Schutzgebiet für Flachlandgorillas. Das Schutzgebiet musste wegen der Corona-Pandemie für Touristen und Wissenschaftler zeitweise geschlossen werden. Die Gorillas waren hier sanft an die Präsenz des Menschen gewöhnt worden, um ihr Verhalten zu studieren und Touristen einen auf Gorilla-Beobachtungen basierenden Ökotourismus zu ermöglichen. Durch den Wegfall des Tourismus fehlten die Einnahmen, die sowohl die Parkverwaltung, das Gorillaprogramm selbst als auch die Gemeindevorhaben finanzierten. Dadurch wurde das Schutzgebiet gefährdet, die Wilderei nahm zu, der schützende Puffer durch den Tourismus fehlte. Ich denke, die Gorillaschutzgebiete in Uganda und Ruanda werden mit ähnlichen Problemen zu kämpfen gehabt haben. Im Gegensatz zu Uganda und Ruanda, wo Gorilla-Beobachtung eine etablierte und wichtige Tourismusaktivität darstellt, ist der Tourismus in der Zentralafrikanischen Republik eine winzige Nische. Wir kämpfen hier um jeden Gast, der sich auf die abenteuerliche Reise zu den Flachlandgorillas und vom Aussterben bedrohten Waldelefanten begibt. Eine Erholung von der Pandemie hat sich leider noch nicht eingestellt.

Auf vielen Studiosus-Reisen können die Gäste an Walbeobachtungsfahrten teilnehmen, etwa in Island, auf den Azoren oder in Kanada. Welche Folgen hatte hier das Wegbrechen des Tourismus?

Nun, für die Wale dürften die Folgen eher gering gewesen sein. Je weniger sie gestört werden, umso besser. Aber für die Meeresfauna insgesamt kann das schon Konsequenzen haben, weil Unternehmer, die auf Walbeobachtung gesetzt haben, eventuell jetzt ihre Boote fürs – möglicherweise illegale – Fischen nutzen. Wir sehen das bei unseren Projekten zum Schutz von Walhaien, die wir auf den Philippinen und an der Westküste Mexikos betreuen. Hier können Touristen mit Walhaien schwimmen und die Einnahmen kommen den Menschen vor Ort und der Einrichtung von Meeresschutzgebieten zugute. Als diese Einnahmen wegfielen, kehrten die Einheimischen notgedrungen wieder zu ihren alten Aktivitäten zurück und fischten verstärkt in den geschützten Gewässern. Andererseits wurden sie sich aber auch des positiven Einflusses des Tourismus auf ihr Leben bewusst und in Mexiko nutzten sie die Zeit, um die Region für den wieder einsetzenden Tourismus attraktiver zu machen: Die Strände wurden gesäubert, neue Ankerbojen für Boote gebaut, um das wilde Ankern zu verhindern, und Trainings für Bootsführer durchgeführt, damit sie die Touristen in angemessenem Abstand zu den Walhaien bringen können.

Welche Maßnahmen hat der WWF ergriffen, um die Existenz seiner Naturschutzprojekte bis zur gänzlichen Erholung des Tourismus zu sichern?

Wir unterstützen die eingerichteten Hilfsfonds mit Spenden, um das Überleben unserer gemeindebasierten Projekte zu gewährleisten. Außerdem gelang es uns dank der Unterstützung unserer Förderer, Spenden für „Corona-Soforthilfen“ für eine Vielzahl von Projektregionen zu generieren, die die fehlenden Einnahmen aus dem Tourismus zum Teil ausgleichen konnten. Aber die Krise hat uns allen gezeigt, dass nachhaltiger Tourismus ein unverzichtbarer Teil von Naturschutzbemühungen in aller Welt geworden ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Stand: November 2022