19.05.2023

Geliebt und gefürchtet

Sri Lankas wilde Elefanten gelten als Top-Attraktion für Touristen. Für die Farmer und ihre Familien sind sie dagegen eine gefährliche Herausforderung – jede Nacht aufs Neue.

Geliebt und gefürchtet

Sarath lässt sich im giftgrünen Elefriendly Bus auf den Fahrersitz fallen und zündet ein Räucherstäbchen an. „Ich habe kaum geschlafen“, sagt der 23 Jährige und grinst trotzdem gut gelaunt. Um ein Uhr nachts kam ungebetener Besuch – ein wilder Elefantenbulle trampelte durch seinen Garten, geradewegs auf das Haus zu. Zum Glück hat Saraths Frühwarnsystem funktioniert. Wenn ein Elefant das Seil berührt, das sein Grundstück umspannt, machen die daran befestigten Blechdosen Lärm. „Das Scheppern hat mich geweckt“, erzählt er. „Mit Feuerwerkskrachern habe ich den Elefanten vertrieben, bevor er größeren Schaden anrichten konnte.“ Größerer Schaden bedeutet: zerstörte Häuserwände, zerborstene Fensterscheiben, geklaute Reissäcke, verwüstete Felder und im schlimmsten Fall verletzte oder gar getötete Familienmitglieder.

Das Räucherstäbchen steckt Sarath ans Armaturenbrett, gleich neben eine kleine Buddhafigur, die ihn auf all seinen Fahrten begleitet. Ein kurzes Gebet, dann steuert er den noch leeren Bus hinunter auf die Hauptstraße, gabelt unterwegs seinen Kollegen Gamini auf und fährt schließlich in den Elefantenkorridor hinein. Sarath und Gamini gehören zum Team der Sri Lanka Wildlife Conservation Society (SLWCS), die sich seit 1995 für eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen und den wilden Elefanten einsetzt. Ihre Projekte plant und realisiert die Organisation vom Pussellayaya Field House aus, das am Rand des Wasgamuwa-Nationalparks im Herzen Sri Lankas liegt. „Seit Jahrhunderten leben die Elefanten hier“, sagt Chandima Fernando, Chef Ökologe der SLWCS. „Doch immer mehr Farmer lassen sich im Dschungel nieder, legen Reisfelder und Obstplantagen im Grenzgebiet der Nationalparks an und nutzen Elefantenkorridore, die uralten Wanderrouten der Tiere, als Verkehrswege. Konflikte sind da vorprogrammiert.“

Mehr als 6000 wilde Elefanten gibt es in Sri Lanka, bei einer Bevölkerungsdichte, die doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Die Nationalparks sind nicht eingezäunt, begegnen kann man den Dickhäutern daher immer und überall: auf Straßen, in Dörfern, auf dem Schulhof, in den Reisfeldern oder im Dschungel. „Die größte Herausforderung für die Zukunft ist schlicht die Realität, mit der wir zurechtkommen müssen. Und die sieht so aus: Sri Lanka ist eine Insel, die Bevölkerung wächst und für die Elefanten wird es eng“, sagt Fernando. Jedes Jahr sterben rund 230 Elefanten durch Menschen und rund 80 Menschen durch Elefanten. Einfach umsetzbare und vor allem finanzierbare Ideen seien gefragt, um diese Zahlen zu minimieren.

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Für die Kinder, die am Rande des Wasgamuwa-Nationalparks leben, sind Elefantenbesuche in ihren Dörfern und Gärten Alltag. Die Väter wachen nachts in Baumhäusern, um von dort aus die ungebetenen Gäste mit Feuerwerkskörpern zu vertreiben.

Eine solche Idee ist der Elefriendly Bus, ein kostenloser, aus Spendengeldern finanzierter Service. Als vor zwei Jahren ein kleines Mädchen auf dem Schulweg von einem Elefantenbullen angegriffen und tödlich verletzt wurde, war der Zorn der Einheimischen riesig. „Verständlicherweise“, sagt Fernando. „Wir wussten: Wenn die wilden Elefanten überleben sollen, müssen wir die Schulkinder schützen. So ist dieser weltweit einzigartige Schulbus entstanden.“ Er fährt, anders als die öffentlichen Busse, in den Elefantenkorridor hinein und sammelt Trauben von Kindern ein, die früher zu Fuß oder mit dem Fahrrad und zuletzt fast immer in Begleitung bewaffneter Eltern den gefährlichen Schulweg zurückgelegt haben.

In Sri Lanka gibt es etwa 12.000 Seen – sie alle sind von Menschenhand bereits im 12. Jahrhundert angelegt worden, als König Parakramabahu I. den Bau von Staudämmen, Schleusen, Kanälen und Wasserspeichern zur höchsten Staatsaufgabe erklärt hatte. Bis heute verhilft dieses uralte Bewässerungssystem den Bauern zu zwei Ernten pro Jahr – und den Elefanten beschert es Nahrung und Wasser im Überfluss.

Beinahe jeder Farmer besitzt entweder ein Gewehr oder Feuerwerkskörper, um sich, seine Familie und die Felder gegen Elefanten zu verteidigen. In Sri Lanka verstreicht kaum eine Nacht ohne Schüsse oder Knaller. „Zum Glück geht es fast immer um Abschreckung“, sagt Fernando. „Die Farmer schießen in die Luft oder feuern die Raketen nicht zielgerichtet ab. Die meisten sind Buddhisten und verehren die Elefanten, auch wenn sie ihnen viel Schaden zufügen.“ Ein Farmer sagte einmal zu ihm: „Hätten wir eine andere Religion, würde es keine Elefanten in Sri Lanka mehr geben.“

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Elefanten kommen in Sri Lanka häufig bei religiösen Festen und Zermonien zum Einsatz, doch immer mehr Tierschützer kritisieren die Lebensumstände der Tempelelefanten. Häufig werden sie mit Futter- und Wasserentzug oder mit Schlägen gefügig gemacht. Kontakt haben sie nur zu ihrem Mahut, obwohl sie extrem soziale Herdentiere sind. „Wir sollten unsere Traditionen überdenken“, meint Ravi Cornea, der Gründer der SLWCS. „Heute wissen wir, dass Elefanten hochsensible, intelligente Tiere sind. Sie leiden zu lassen, indem man sie ankettet und durch lärmende Menschenmassen treibt, widerspricht dem zentralen Gedanken des Buddhismus!“

Im Elefriendly Bus wird es inzwischen voll – 120 Passagiere in einem Bus mit 26 Sitzen. Busfahrer Sarath hat keine Chance, die Türen zu schließen. Er verlässt sich auf seinen Kollegen, der aufpasst, dass während der Fahrt keiner herausfällt. Ihre Rucksäcke geben die Schulkinder beim Einsteigen ab, damit im hinteren Teil des Busses mehr Platz ist. Sie stapeln sich auf dem Beifahrersitz fast bis zur Decke. „Ja, einen zweiten Bus könnten wir gut gebrauchen“, meint Gamini. „Aber wir sind dankbar, dass wir diesen hier haben. Die Kinder kommen sicher in die Schule, ihre Eltern haben mehr Zeit für die Arbeit in den Feldern und Sarath und ich haben einen Job.“

Einen Job, den die beiden lieben. Am Pussellayaya Field House stellen sie den Schulbus ab, und jeder setzt sich, nach einer Tasse Tee und einer Handvoll Reis, hinter das Steuer eines der betagten SLWCS-Landrover. Jetzt sind Volontäre aus aller Welt ihre Fahrgäste. Mal geht es in den Dschungel, um Fotofallen zu installieren, Spuren auszuwerten oder Elefantendung zu untersuchen. Mal fahren sie auch zu Einheimischen, um konkret zu helfen. So wie heute, nachdem ein Notruf von einer alten Dame eingegangen ist.

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Wer eine Jeepsafari in Sri Lankas Nationalparks macht, sieht mit großer Wahrscheinlichkeit Elefanten. Einige von ihnen weisen Brandwunden oder Einschüsse auf. „Heutzutage ist bei uns nicht die Wilderei das Problem“, sagt Chandima Ferando, „sondern der Konflikt mit den Farmern.“ Nur rund sieben Prozent der männlichen Sri-Lanka-Elefanten haben Stoßzähne. Jäger haben jahrhundertelang Bullen mit großen Zähnen gefangen – ihr Erbe fehlt daher fast völlig in der aktuellen Population.

Frau Sobana wartet schon vor ihrer Tür, als der Hilfstrupp an der abgelegenen Farm eintrifft. Drei riesige Löcher klaffen in der Ziegelmauer auf der Rückseite des Hauses – Ergebnis eines nächtlichen Elefantenüberfalls. „Der Bulle war vor ein paar Tagen schon einmal da“, erzählt die zierliche Mittsiebzigerin, während Akila, die den SLWCS-Einsatz leitet, den Schaden begutachtet. „Ich habe ihn rechtzeitig bemerkt und mit Feuerwerkskörpern vertrieben.“ Weil sie Beruhigungstabletten genommen hatte, verschlief sie seinen zweiten Angriff in ihrem Lehnstuhl. Akila deutet durch die zerstörte Mauer auf das Bett, auf dem sich Ziegelsteine und zerbrochenes Fensterglas auftürmen. „Dass sie nicht im Bett lag, hat ihr vermutlich das Leben gerettet.“

Elefanten, die mit ihren feinen Nasen Reis oder andere Lebensmittel im Haus erschnüffeln, durchbrechen selbst Ziegelwände.

Aber warum reißen Elefanten Wellblechwände nieder oder durchbrechen sogar Ziegelmauern? Die Antwort ist banal: Weil sie dem Duft von Reis nicht widerstehen können. „Mit ihrem hervorragend ausgeprägten Geruchssinn orten sie problemlos Reissäcke, die sich in den Häusern befinden,“ erklärt Akila. „Der Reissack, den Frau Sobana neben ihrem Bett aufbewahrt hat, ist verschwunden.“ Jeder srilankische Farmer hortet Reisvorräte für mindestens sechs Monate im Haus – für den Fall, dass es mit der Ernte Probleme gibt. „Einfach in den Supermarkt zu gehen und Reis portionsweise zu kaufen, das ist hier undenkbar. Die Familien essen außerdem ausschließlich ihren eigenen Reis, auch wenn sie dafür ein hohes Risiko eingehen.“

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Seit den 1970er Jahren verbietet in Sri Lanka ein Gesetz, Elefanten zu fangen, um sie für die Arbeit abzurichten. So sind nur noch rund 200 altgediente Arbeitselefanten inselweit im Einsatz. Diejenigen, die zu altersschwach sind, genießen nicht etwa den wohlverdienten Ruhestand, sondern müssen Touristen auf sich reiten lassen. Tierschützer befürworten es, dass immer mehr Tourismusunternehmen das Elefantenreiten aus ihrem Programm streichen.
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Studiosus bietet auf seinen Reisen seit Ende 2014 keine Ausritte auf Elefanten mehr an. Damit liegt das Unternehmen auf der Linie des Deutschen Reiseverbands DRV, der seinen Mitgliedern im Mai 2016 empfohlen hat, touristische Angebote, die Aktivitäten mit Elefanten vorsehen, kritisch zu prüfen und gegebenenfalls aus dem Programm zu nehmen.

Während die Helfer die Trümmer beseitigen, Zement mischen und Ziegelsteine heranschaffen, checkt das SLWCS-Team den Bienenzaun. An einem Seil, das Frau Sobanas Farm in Richtung Dschungel schützen soll, hängen Holzkisten voller Bienen. Die Idee eines solch lebenden Zauns stammt aus Kenia, wo er einerseits die Elefanten von den Feldern und Dörfern fernhält und andererseits den Bauern ein zusätzliches Einkommen durch den Verkauf von Honig beschert. Wenn die Elefanten das Seil berühren, schwärmen die Bienen aus. Schon das Summen versetzt sie in Panik und treibt sie in die Flucht. In Kenia sind die Bienenzäune eine äußerst effektive Methode, den Konflikt zwischen Elefanten und Menschen zu entschärfen. „Hier hat er leider versagt“, konstatiert Ökologe Chandima Fernando. „Vermutlich liegt es daran, dass unsere Bienen viel kleiner und viel weniger aggressiv sind als die in Kenia. Ich fürchte, die afrikanische Erfolgsstory lässt sich nicht einfach auf Sri Lanka übertragen.“

Volontäre der SLWCS bergen Habseligkeiten von Frau Sobana, beseitigen Scherben und Trümmer und mauern die Wände wieder zu.

Eine andere simple wie geniale Idee funktioniert besser: das vielfach ausgezeichnete „Project Orange Elephant“. „Wir haben herausgefunden, dass Elefanten Zitrusfrüchte weder fressen noch ihren Duft mögen“, sagt Fernando. „Also haben wir vor einigen Jahren begonnen, Hecken aus Orangen und Limettenbäumen als Schutzwälle zu pflanzen. Die halten die Elefanten auf Distanz und liefern mit den Früchten eine lukrative Einnahmequelle.“ Den Kauf der Pflanzen finanziert die SLWCS aus Spenden. Mittlerweile haben die Einheimischen über 7000 Bäumchen gepflanzt, und mit dem Erfolg steigt die Nachfrage. „Inzwischen können wir gar nicht so viele Pflanzen liefern, wie die Dörfer haben wollen.“

Nach stundenlanger Arbeit in brütender Hitze ist die Wand von Frau Sobanas Haus repariert. Nächste Woche, so vereinbart es Akila mit der alten Dame, kommen die Helfer wieder, um eine Hecke aus Orangenpflanzen anzulegen. Während sich die Freiwilligen nachmittags ausruhen, holen Sarath und Gamini die Kinder von der Schule ab. Unterwegs ruft plötzlich ein Junge, der einen Teil des Beifahrersitzes ergattert hat: „Alia! Alia!“ Am Waldrand, keine 50 Meter entfernt, bahnt sich ein Bulle seinen Weg durchs hohe Gras. Ob er Elefanten mag? „Na klar“, sagt der 12 Jährige. „Wenn ich mal groß bin, möchte ich auch Elefanten beschützen. Und Busfahrer werden, so wie Sarath.“ Der lächelt und ruft seine Kollegen von der SLWCS an. Sie sollen die Farmer in der Umgebung warnen, dass es eine unruhige Nacht werden könnte. Wieder einmal.

Gründer der gemeinnützigen Sri Lanka Wildlife Conservation Society ist Ravi Corea, der bei Colombo aufgewachsen ist und Naturschutzbiologie an der Columbia Universität in New York studiert hat. „Saving elephants by helping people“ lautet das Motto der Organisation. „Tierschutz, ohne die Einheimischen mit ins Boot zu holen, funktioniert nicht”, sagt er.