19.09.2023

Tourismus - Lebensversicherung für die Berggorillas

Berggorillas sind die einzigen Menschenaffen weltweit, deren Bestand wächst. Die ugandische Umweltschützerin und Tierärztin Dr. Gladys Kalema-Zikusoka führt das unter anderem auf die Mithilfe der lokalen Bevölkerung zurück – und auf den Tourismus.

Tourismus - Lebensversicherung für die Berggorillas

Im Headquarter bei Buhoma am Rand des Bwindi-Nationalparks treffen sich Gäste aller Nationalitäten zum sogenannten Briefing für das Berggorillatracking. „Unterwegs können Waldelefanten aus dem Dickicht auftauchen“, erzählt einer der Guides und macht eine Pause, als seine Gäste halb gespannt, halb sorgenvoll die Augenbrauen heben. Dann fährt er beruhigend fort: „Eine Begegnung ist aber ziemlich unwahrscheinlich.“ Nach einer weiteren Pause deutet er auf ein paar Ranger, die Gewehre umgehängt haben: „Die Jungs begleiten uns und feuern, wenn nötig, Warnschüsse ab.“

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In Zoos sieht man ausschließlich Westliche oder Flachlandgorillas, die unter anderem im Kongobecken, in Gabun und in der Zentralafrikanischen Republik heimisch sind. Es gibt bislang keine Berggorillas, die in Zoos überleben.

Dann teilt er zusammen mit seinen Kollegen die Gäste ein. Maximal acht Personen sind derzeit pro Gruppe erlaubt. Wer nicht so gut zu Fuß ist, besucht einen Gorillaclan, der relativ leicht erreichbar ist. Ein älteres Ehepaar atmet auf, nachdem der Guide ihnen die Sorge vor allzu großen körperlichen Strapazen nimmt: „Ihr braucht nur Augen, damit ihr die Gorillas sehen könnt. Zur Not tragen wir euch zu ihnen.“ Christine aus München gehört zu den fitteren Gästen und darf mehrere Stunden durch den steilen, teils morastigen Regenwald marschieren. Ja, darf. „Ich bin froh, dass wir unseren Guide durch den Dschungel begleiten können. Für mich ist die Wanderung ein ganz wichtiger Teil des Abenteuers.“

Da es im Lebensraum der Berggorillas kaum Früchte gibt, ernähren sie sich vorwiegend von Blättern. Ein Weibchen frisst täglich rund 18 kg Pflanzen, ein ausgewachsener Silberrücken bis zu 30 kg. Seine sehr langen, spitzen Eckzähne braucht er übrigens nicht zur Nahrungsaufnahme, sondern nur im Kampf gegen Konkurrenten.

Berggorillas kommen weltweit in nur zwei Gebieten vor: an den Hängen der Virunga-Vulkanberge im Dreiländereck Ruanda, Demokratische Republik Kongo und Uganda, außerdem 30 Kilometer weiter nördlich im ugandischen Bwindi Impenetrable Nationalpark. Dort warten am Eingang Einheimische darauf, einen Tagesjob als Träger zu ergattern. Christine engagiert John für 20 Dollar. „Das Geld ist gut angelegt“, findet die Produktmanagerin. „Davon kann seine ganze Familie einige Tage ihren Lebensunterhalt finanzieren.“ John hilft der Münchnerin, die steilen, wurzeligen Passagen zu erklimmen, und trägt während der schweißtreibenden Kletterei in immerhin rund 1900 Metern Höhe ihren Rucksack. Unterdessen geht der Guide vorneweg und schlägt mit seiner Machete behutsam eine Schneise in das grüne Dickicht. Gerade so viel, wie nötig ist, um einen Weg zu bahnen, wo eigentlich keiner ist. Der Bwindi-Nationalpark trägt nicht umsonst den Zusatz „impenetrable“ – undurchdringlich. „Wie wir hier die Gorillas finden sollen, ist mir wirklich schleierhaft“, gesteht Christine. Ihre Zweifel wischt der Guide mit einem entspannten Grinsen und dem wiederholten Kommentar „no worries“ weg. Zuversichtlich ist er deshalb, weil schon seit den frühen Morgenstunden Fährtenleser unterwegs sind, um die aktuellen Standorte der Gorillafamilien ausfindig zu machen. Mit ihrer Hilfe liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Touristen die Berggorillas auch wirklich zu sehen bekommen, bei fast hundert Prozent. Und was ist, wenn weder Handy noch GPS funktionieren, um die genaue Position durchzugeben? „No worries!“ Dann finden sich Guide und Spurensucher mit einer Lautsprache, die der der Affen ähnelt. Hallen diese eigenartigen Laute erst einmal durch den Dschungel, steht die ersehnte Begegnung mit den Berggorillas unmittelbar bevor.

Damit diese vor ihren Besuchern nicht flüchten oder sie gar angreifen, werden die Gorillafamilien von Wissenschaftlern über Jahre hinweg behutsam an Menschen gewöhnt. „Gorillas zu habituieren dauert mindestens zwei bis drei Jahre“, erzählt Dr. Gladys Kalema-Zikusoka, die weltweit zu den führenden Gorillaexperten zählt. „Zunächst nähert sich ein Team auf zirka 100 Meter, dann wird der Abstand täglich reduziert.“ Mut sei dazu schon nötig, denn Gorillas, die mit der Anwesenheit von Menschen nicht vertraut sind, können aggressiv reagieren. Wenn der Anführer bedrohlich näherkommt, heißt es, auf keinen Fall weglaufen. „Er ist sowieso schneller“, meint die ugandische Tierärztin mit dem für sie typischen lauten Lachen. „Nimm am besten eine kauernde, unterwürfige Haltung ein und vermeide Augenkontakt. Dann passiert nichts.“

Mit etwa zehn Jahren sind weibliche Berggorillas geschlechtsreif und bringen im Schnitt alle vier Jahre ein Baby zur Welt. 26 % aller kleinen Berggorillas überleben das erste Lebensjahr nicht.
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Habituierte Gorillas gelten als friedfertig, gerne werden sie daher auch als die „sanften Riesen“ bezeichnet. Immerhin können ausgewachsene Männchen über 200 Kilogramm wiegen, bei einer Größe von bis zu 1,70 Meter.

22 der schätzungsweise 50 im Bwindi-Wald lebenden Gorillagruppen sind inzwischen habituiert. Obwohl die Nachfrage nach Gorillatracking wächst, spricht sich Dr. Kalema-Zikusoka klar gegen eine weitere Habituierung aus. „Einige Gorillafamilien müssen auch in Zukunft komplett wild leben, ohne den Kontakt zu Menschen. Das macht sie scheu und hält sie davon ab, sich aus dem schützenden Wald herauszuwagen, um zum Beispiel auf den Bananenplantagen Früchte zu wildern.“ Denn eine der größten Bedrohungen für Berggorillas sind Krankheiten, die der Mensch auf sie überträgt. Die DNA des Gorillas unterscheidet sich nur zu 1,75 Prozent vom menschlichen Erbgut und macht ihn damit neben dem Schimpansen zu unserem nächsten Verwandten.

Ein Schlüsselerlebnis hat Dr. Kalema-Zikusoka, die 1995 Ugandas erste Veterinärmedizinerin für Wildtiere wird, ganz zu Anfang ihrer Karriere. Damals arbeitet sie für die Uganda Wildlife Authority im Auftrag der ugandischen Regierung. Ihr Team und sie stellen bei einer habituierten Gorillagruppe einen schlimmen Haarausfall, verbunden mit weißer, schuppiger Haut, fest. Nachforschungen ergeben, dass die Affen auf dem Feld eines Bauern mit der Kleidung einer Vogelscheuche in Berührung gekommen sein müssen, als sie nach Früchten suchten. „Dort haben sie sich mit Krätze angesteckt, was so gefährlich ist, weil sie nie zuvor Kontakt mit Krätzmilben hatten.“ Einige Gorillas kann die Tierärztin erfolgreich behandeln, Baby Ruhara findet sie bei einem Kontrollbesuch wenige Tage später tot auf.

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„Jedes Mal, wenn ich einen Berggorilla in freier Wildbahn sehe und in der Nähe dieser unglaublichen ‚sanften Riesen‘ sitzen darf, gibt mir das neue Antriebskraft, alles zu tun, um weiter für ihr Überleben zu kämpfen.“ Dr. Kalema-Zikusoka.

„Für mich war das der Wendepunkt in meinem Leben“, erinnert sie sich. 2003 verlässt sie die Uganda Wildlife Authority, um die gemeinnützige Organisation Conservation Through Public Health (CTPH) zu gründen. „Wenn wir vom Aussterben bedrohte Tiere schützen wollen, müssen wir uns gleichzeitig um die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer menschlichen Nachbarn kümmern.“ Dieser Ansatz war damals revolutionär, heute basieren die meisten Schutzprogramme weltweit genau auf dieser Erkenntnis. CTPH beschäftigt mittlerweile 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie knapp 300 Ehrenamtliche, die in den betroffenen Gemeinden leben und von der Organisation zu sogenannten Dorfhelfern ausgebildet werden. Wenn es Probleme mit klauenden Gorillas gibt, schaltet der Dorfhelfer oder die Dorfhelferin das Mensch-Gorilla-Konflikt-Team ein, das die Tiere zurück in den Wald treibt. Er oder sie berät zu Themen wie Hygiene, Familienplanung und Gesundheit und organisiert, wenn nötig, konkrete medizinische Hilfe. Besonders wertvoll sind Tipps, wie man nachhaltige Landwirtschaft auf den sehr steilen Feldern rund um Bwindi betreibt, sodass die Böden nicht erodieren. „Die Idee dahinter ist simpel“, erklärt Dr. Kalema-Zikusoka. „Ist die Ernte gut, müssen die Leute nicht hungern und gehen daher weniger oder gar nicht wildern.“

Studenten untersuchen die Exkremente der Gorillas, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen.

Um die Wilderei zu stoppen, müsse man die lokale Bevölkerung ins Boot holen. „Der erste Einheimische, der mich zu den Berggorillas führte, erzählte mir, dass die Behörden ihn als Spurensucher angestellt hatten“, erinnert sich Dr. Kalema-Zikusoka. „Sie hatten es satt, ihn immer wieder wegen seiner Wilderei einzusperren.“ Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: „Er konnte seine Familie auf legale Weise ernähren. Und um den Tourismus anzukurbeln, waren Einheimische wie er, die den Regenwald wie ihre Westentasche kennen, zwingend nötig.“ Viele ehemalige Wilderer arbeiten nun als „Gorillawächter“, Ranger oder Fährtenleser. Besonders glücklich ist Dr. Kalema-Zikusoka darüber, dass sich der Anteil der weiblichen Mitarbeiter von null auf 20 Prozent erhöht hat. „Wenn Frauen Gorillas sehen, laufen sie aus Angst davon – das war die weitverbreitete Meinung“, grinst die Tiermedizinerin. „Ich bin das beste Beispiel, dass das nicht stimmt, oder?“ Dass die Anstrengungen fruchten, beweisen die Zahlen: 1997, bei der ersten Zählung von Berggorillas überhaupt, ermittelt sie in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern 650 Berggorillas, 300 davon im Bwindi-Wald. Bei der letzten Zählung, die 2018 stattfand, werden 1063 Exemplare registriert, die Zahl der im Bwindi-Nationalpark lebenden Berggorillas liegt bei 459. Damit sind sie die einzige Primatenart, deren Bestand aufgrund erfolgreicher Schutzmaßnahmen steigt. „Der nächste Zensus steht an“, verrät die 53-Jährige. „Und wir sind zuversichtlich, dass sich der positive Trend fortsetzt.“

Ihr „Ready to Grow“-Garten hilft der jungen Mutter Hope, sich und ihre Familie selbst zu versorgen.

Ohne die lokale Bevölkerung, die als Fahrer, Träger, Souvenirverkäufer, Lodge- und Restaurantbetreiber arbeitet, würde der Berggorilla-Tourismus, der zu einer wichtigen Einnahmequelle für Uganda geworden ist, nicht funktionieren. Sie alle leben von dem Geld, das die sogenannten Permits in die Kassen spülen. Jeder, der in den Nationalparks Gorillas besuchen möchte, muss ein Permit kaufen. Aktuell liegt der Preis für den Einlass in das Schutzgebiet, das Briefing, das Tracking in Begleitung von einem Guide und mehreren Rangern sowie den einstündigen Aufenthalt bei einer Gorillagruppe bei 640 Euro. „Das Geld verwenden die Behörden für Forschung und Schutzmaßnahmen, übrigens auch für Parks, die weniger Besucher haben als der Bwindi-Nationalpark“, erklärt Dr. Kalema-Zikusoka. „20 Prozent der Eintrittsgebühr erhalten die Gemeinden, die im Gürtel der Parks liegen. Es ist wichtig, dass jeder Einwohner spürt: Der Tourismus kommt nicht nur den Gorillas zugute, sondern auch uns.“

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Die Bevölkerung hat die Unterstützung durch den Tourismus bitter nötig. Denn Uganda ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 1000 Euro pro Kopf und Jahr eines der ärmsten Länder der Welt – zum Vergleich: Weltweit liegt dieser Wert bei knapp 11.000 Euro. Der Anteil der Menschen, die in Uganda unterhalb der Armutsgrenze leben, konnte zwar deutlich gesenkt werden, hat aber während der Corona-Pandemie wieder zugenommen. Zugleich hat sich die Einwohnerzahl des Landes zwischen 1998 und 2022 von 22,5 auf 45,9 Millionen mehr als verdoppelt. Um das hohe Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen, leistet CTHP Aufklärungsarbeit in den Dörfern und setzt sich für freiwillige Familienplanung ein.

Mit der Corona-Pandemie ändert sich alles schlagartig. Zum einen wegen der großen Angst, das Virus auf die Primaten zu übertragen. „Es gab mehrere in Gefangenschaft gehaltene Gorillas in Zoos auf der ganzen Welt, die sich bei Menschen mit Covid-19 infizierten und isoliert behandelt werden mussten“, sagt Dr. Kalema-Zikusoka. „Eine wilde Gorillapopulation zu isolieren und zu behandeln, ist praktisch unmöglich.“ Katastrophal wirken sich auch die strengen Reisebeschränkungen aus, die zu einem totalen Zusammenbruch des Tourismus führen. Viele Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, kämpfen gegen Hunger und buchstäblich ums Überleben. Kurz nach Beginn der Pandemie tötet ein Buschfleischwilderer, der Buschschweine und Antilopen erbeuten will, den Silberrücken Rafiki mit einem Speer. In Notwehr, wie er sagt. Denn auf den Gorilla hatte er es gar nicht abgesehen. „Gorillas und andere Primaten werden immer noch in der Demokratischen Republik Kongo gegessen, auf dem Speiseplan der Ugander und Ruander stehen sie nicht“, erklärt Dr. Kalema-Zikusoka. „Allerdings geraten sie immer wieder in Fallen, verletzen sich und verenden schlimmstenfalls. Oder sie überraschen Buschfleischwilderer, versetzen sie in Panik und bezahlen dafür mit ihrem Leben. So wie Rafiki.“ Rafikis Mörder wird zu elf Jahren Gefängnis verurteilt – die längste Haftstrafe, die jemals ein ugandisches Gericht für Wilderei verhängt hat. Dr. Kalema-Zikusoka trifft nach der Tat die Ehefrau des Wilderers, eine 22 Jahre alte Mutter mit drei Kindern unter drei Jahren. „Die Familie lebt in einer verheerenden Armut, die sich durch die Haftstrafe des Vaters noch verschlimmern wird. Mir wurde klar, dass wir uns nicht nur auf den Tourismus verlassen dürfen, sondern noch mehr für eine nachhaltige Landwirtschaft tun müssen, um Hunger und Armut zu lindern.“ CTPH reagiert auf die drohende Zunahme der Wilderei und verteilt schnell wachsende „Ready to Grow“-Setzlinge an bedürftige Familien. Eine eigene kleine Landwirtschaft als Nahrungsquelle soll ihnen helfen, ohne Wilderei und im Notfall ohne Tourismus überleben zu können.

Zum Glück sind mittlerweile Gorillabegeisterte aus aller Welt zurück im Bwindi-Nationalpark. Ein Relikt der Pandemie ist lediglich die Maskenpflicht beim Besuch der Menschenaffen. Christine trifft dank des perfekten Zusammenspiels zwischen Guide und Fährtenleser „ihre“ Gorillafamilie: 16 Tiere, darunter zwei Silberrücken, mehrere Weibchen, Halbwüchsige und Babys. „Die Kleinen schienen uns ihr ganzes Können demonstrieren zu wollen. Sie turnten an Ästen, fielen herunter, rauften miteinander und beobachteten uns ständig, ob wir sie auch sehen.“ Für die Münchnerin, die schon mehrere afrikanische Länder bereist und viele Tiere in freier Wildbahn gesehen hat, ist es ein unglaublich emotionales Erlebnis. „Mir stiegen tatsächlich Tränen in die Augen. Vor Rührung, vor Glück? Ich weiß es nicht. Ich war einfach total überwältigt.“

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Ob sich die Berggorillas in Zukunft weiter vermehren können, ist ungewiss: „Es ist zwar eine wunderbare Nachricht, dass die Zahl der Berggorillas zunimmt“, sagt Dr. Kalema-Zikusoka. Realität sei aber auch, dass ihr Lebensraum begrenzt ist. Der Bwindi Impenetrable Nationalpark ist eine 320 Quadratkilometer große Waldinsel, umgeben von Bananenplantagen, in denen Gorillas nicht willkommen sind.

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